Das Wort zu Weihnachten „Gott hat sich entschieden“ von Superintendentin Frau Federschmidt und mir hat Kritik hervorgerufen und eine kleine Diskussion entfacht. Der Wuppertaler Rundschau und den Diskussionsteilnehmern danke ich dafür. U.a. geht es um die Forderung nach einer angemessenen Ausdrucksweise, den christlichen Schöpfungsglauben und um das Verhältnis von christlichem Glauben und Wissenschaft. In aller Kürze möchte ich einiges klar stellen und entgegnen.
Teilweise werden falsche Behauptungen aufgestellt, um diese dann heftig zurückzuweisen. Die katholische Kirche (und ebenso die evangelische) vertritt nicht den Standpunkt, dass „die gesamte Schöpfung … nur einen einzigen Zweck hat – den Menschen, die „Krone der Schöpfung“. Eine solche ausschließliche Ausrichtung auf den Menschen wäre sogar unchristlich. Im christlichen Glauben an Gott kann ich sagen, dass die Welt sich Gottes Freiheit und Liebe verdankt. Diese gläubige Sinndeutung ist unabhängig von der Beantwortung der wissenschaftlichen Fragen, wie die Welt entstanden ist – wahrscheinlich nach einem sog. Urknall ? – und wie sich dann auf der Erde im Laufe der Evolution menschliches Leben entwickelt hat.
Es stört die Aussage, dass Gott von Anfang an Maria in seinen Plan einbezogen hat. Dies ist vor allem eine Aussage über den Glauben selbst, wie ihn der Evangelist Lukas literarisch als christlicher Schriftsteller in seinem Weihnachtsevangelium verkündet, nicht als Historiker und nicht als Philologe. Im Glauben bejaht der Mensch eine besondere Beziehung zwischen Gott und Mensch. Dies geschieht wie bei Maria zu erkennen in Freiheit und im Vertrauen darauf, dass Gott seine Verheißungen erfüllen mag, auch wenn wir als Menschen das Wie dieser Erfüllung, ja selbst oft den Sinn in den aktuellen Ereignissen des Lebens nicht verstehen können. In diesem Vertrauen zeigt sich der Glauben allerdings nicht gegen die menschliche Vernunft.
Darin scheint Übereinstimmung zu herrschen: Ich kann den Glauben an Gottes Existenz und an Gottes Heilswillen nicht (natur-)wissenschaftlich beweisen genauso wenig wie wissenschaftlich die Nicht-Existenz Gottes bewiesen werden kann.
Nehmen wir die angesprochene Suche nach einer Weltformel, mit der sich einige der größten Physiker befasst haben oder befassen. Unter ihnen finden wir Wissenschaftler, die dem christlichen Glauben nahe stehen oder mindestens Sympathie zeigten wie z.B. Werner Heisenberg oder aber jemand wie Stephen Hawking, der sich als Atheist bekennt. Gesetzt den Fall, dass Wissenschaftler eine solche Weltformel finden würden: Was würde diese wissenschaftliche Denkleistung oder Erkenntnis beweisen? Ich wage die Vermutung, dass die einen Wissenschaftlicher im vollen Selbstbewusstsein ihrer Genialität erst recht ihren atheistischen Standpunkt bestätigt fänden, während dem Glauben aufgeschlossene Wissenschaftler eine solche Weltformel als Niederschlag einer universalen Vernunft und als Hinweis auf einen Schöpfer-Gott deuten könnten. Damit möchte ich deutlich machen, dass ich das Verhältnis von Wissenschaft und Glauben tatsächlich als Ergänzung verstehe. Aus diesem Verhältnis folgt die Beachtung der jeweiligen Grenzen, aber noch lange keine Abgrenzung, sondern das Interesse am Dialog zwischen dem christlichen Glauben (bzw. den Kirchen und der Theologie) und den Wissenschaften.
Bei manchen Formulierungen der Kritiker scheint mir tatsächlich eine Wissenschaftsgläubigkeit durch, die ich bei aller Bewunderung für die Leistungen der Wissenschaften nicht teilen kann. Eine vernünftige Kritik der Wissenschaften und ein kritischer Blick auf unsere Gesellschaft führen interessanterweise auch unreligiöse Menschen wieder zu der Frage nach der Bedeutung der Religion für unsere Gesellschaft.
Verhängnisvoll für unsere Gesellschaft und die Erziehung junger Menschen fände ich, wenn wir nur „einen solchen Zugang zur Wirklichkeit“ zulassen würden, „der sich an nachweisbaren Fakten orientiert“, wenn ich den Leserbrief richtig verstehe. In Ausschließlichkeit verstanden – hier wäre eine exakte Formulierung hilfreich gewesen – würde das bedeuten, viele philosophische, ethische, kulturelle und geisteswissenschaftliche Fragestellungen und Errungenschaften, sogar menschliche Neugier und natürlich jede gelebte Religion aus der Entwicklung und Bildung eines Menschen und unserer Gesellschaft auszuklammern. Grundlegende Entscheidungen unseres Lebens basieren eben nicht allein auf dem Wissen, das sich nur an nachweisbaren Fakten orientiert. Die Folge wäre eine geistige, seelische und kulturelle Verarmung des menschlichen Lebens. Allein schon aus Gründen der Vernunft, erst recht von einem christlichen Menschenbild aus muss dem widersprochen werden.
Dr. Bruno Kurth
Stadtdechant
Mit diesem Artikel reagiert der Wuppertaler Stadtdechant Dr. Bruno Kurth auf eine intensive Leserbriefdisussion, die auf den Beitrag „Gott hat entschieden“, der in der Wuppertaler Rundschau in der Rubrik „Auf ein Wort“ vom 24.12.2011 folgte. Ausgelöst wurde diese Diskussion durch einen Leserbrief von Volker Brokop, der noch in seinem Weblog nachgelesen werden kann. Der Leserbrief wurde ungekürzt am 31.12.2011 in der Wuppertaler Rundschau veröffentlicht.
Dieses Antwortschreiben von Dr. Bruno Kurth soll noch in der Wuppertaler Rundschau veröffentlicht werden.
Sehr geehrter Herr Dr. Kurth,
mit einigem Erstaunen habe ich diesen Blogeintrag entdeckt, freue mich aber darüber, daß mein Leserbrief tatsächlich solch eine Debatte ausgelöst hat, viel mehr noch aber darüber, daß Sie an dieser Stelle darauf eingehen.
Zunächst muß generell angemerkt werden, daß ein Leserbrief natürlich möglichst kurz formuliert werden muß, um überhaupt veröffentlicht zu werden, insofern kann man dem äußerst komplexen Thema „Naturwissenschaft und Religion“ auf diese Weise sicher nicht gerecht werden. Sie haben sich in Ihrem obigen Beitrag auf mehrere Leserbriefe bezogen, ich kann natürlich nur zu meinen eigenen Aussagen Stellung beziehen, was ich hiermit sehr gerne tue.
Eine fundamentale Übereinstimmung gibt es meinerseits selbstverständlich tatsächlich, und sie entspricht exakt meinem Plädoyer für das, was ich als „intellektuelle Redlichkeit“ bezeichnet habe, denn natürlich ist es vollkommen unmöglich, Gott mit den Mitteln der Naturwissenschaften zu beweisen oder zu widerlegen. Allerdings muß ich direkt eine entscheidende Ergänzung hinzufügen, denn es kommt darauf an, was man unter dem Begriff Gott versteht, da ich die Behauptung aufstelle, daß es sich bei diesem Begriff um einen der beliebigsten Begriffe des gesamten menschlichen Wortschatzes handelt. Diese Behauptung ist auch sehr einfach zu begründen, da der Gottesbegriff sich mit beliebig vielen Inhalten füllen und mit beliebig vielen Identifikationen verbinden läßt. Es ist vollkommen unmöglich, objektive oder absolute Aussagen über Gott zu machen, insofern kann Gott niemals ein Gegenstand irgendeiner naturwissenschaftlichen Methode sein.
Etwas anders aber verhält es sich, wenn man von Gott als dem Schöpfer der Welt spricht, und darauf bin ich in meinem Leserbrief eingegangen. Für mich ist nicht die Frage interessant, ob ein Mensch an Gott glaubt, mich interessiert, welche Vorstellungen sich dahinter verbergen und welche Bedeutug es für den Einzelnen hat, an Gott zu glauben oder eben auch nicht.
Um aber beim Thema Naturwissenschaft und Religion zu bleiben, so kann man tatsächlich redlicherweise sagen, daß sowohl die Evolutionsbiologie als auch die Kosmologie inzwischen über sehr sinnvolle Modelle und wissenschaftliche Theorien verfügen, die keinerlei schöpfungstheologischer Ergänzung bedürfen, um die Entstehung des Lebens oder der Welt plausibel zu begründen.
Unter Ihrer Bemerkung haben Sie, Herr Dr. Kurth, meine Website mit einigen meiner Bemerkungen verlinkt, aus dieser Seite zitiere ich eine Aussage des Theologen Eugen Drewermann, der in mehreren sehr umfangreichen Büchern den Kenntnisstand sowohl der modernen Biologie, als auch der modernen Kosmologie zusammengefaßt hat:
„Das Problem ist nicht, daß wir nicht erklären können, wie lebende Strukturen sich zu bilden vermögen, das Problem ist, daß wir nicht wissen, welche der an sich möglichen Erklärungen zutrifft, welch einen Weg das Leben historisch wirklich genommen hat. […] Man braucht Gott nicht mehr, um zu erklären, warum es das Sonnensystem gibt, man braucht Gott nicht mehr, um zu erklären, warum es das Leben auf der Erde gibt, und man braucht ihn auch nicht mehr, um zu erklären, warum es uns Menschen gibt.“
Diese Aussage hat mich sehr lange beschäftigt, und sie bestätigt nur, was tatsächlich heute Stand der naturwissenschaftlichen Forschung ist. Natürlich aber bleibt es dabei, daß jede neue Antwort immer neue Fragen aufwirft; daß sozusagen jedes neue Wissen den Stand unseres Nichtwissens riesig noch erweitert, aber ist denn die Erklärung Gott als Antwort auf vielleicht prinzipiell unbeantwortbare Fragen eine zufriedenstellende Alternative? Für mich persönlich jedenfalls nie und nimmer.
Dann muß ich noch eingehen auf eine meiner Aussagen aus meinem zweiten Leserbrief in der Diskussion in der Wuppertaler Rundschau, dort habe ich geschrieben: „Es ist enorm wichtig, dass vor allem jungen Menschen ein möglichst realistischer und an nachweisbaren Fakten orientierter Zugang zur Wirklichkeit ermöglicht wird.“
Diese Bemerkung bezieht sich selbstverständlich nur auf den Bereich der Naturwissenschaften, da ich seit vielen Jahren mit großer Sorge immer wieder mitbekomme, was in Kreisen sogenannter „Kreationisten“ und Anhängern des „Intelligent Design“ geglaubt und auch in Deutschland in immer mehr Privatschulen neben dem Biologieunterricht gelehrt wird. Speziell für die Katholische Kirche ist dieses Thema nicht ganz einfach, da sie sich einerseits in einigen offiziellen Verlautbarungen von dem Gedankengut derartiger Kreise distanziert, andererseits aber ihre eigene Vorstellung von der sogenannten „reinen Schöpfungslehre“ (siehe Weltkathechismus) nicht aufgeben möchte, ich verweise zur Verdeutlichung auf einen Artikel von Christoph Kardinal Schönborn, der im Juli 2005 unter dem Titel „Keine Evolution durch blinden Zufall!“ in der New York Times erschienen ist:
http://stjosef.at/dokumente/evolution_schoepfung_schoenborn.htm
An dieser Stelle ist sicher kein Raum für einen naturwissenschaftlichen Exkurs, aber der Aspekt des Zufalls in der Evolution sollte zumindest soweit verstanden werden, daß er nicht besagt, daß es in der Natur Entwicklungen gibt, die keine Ursache und keinen Sinn haben, wohl aber solche, die keiner höheren Absicht folgen und deren Ziele erst mit ihrer evolutiv notwendigen Zielsetzung entstehen; diese Zielsetzungen aber lassen sich nicht plausibel mit einem Schöpfungsplan in Zusammenhang bringen.
Abschliessend weise ich darauf hin, daß es ausdrücklich zur naturwissenschaftlichen Methode gehört, Verfahren anzubieten, mit denen Hypothsen und Theorien überprüft, also entweder bestätigt, ergänzt oder widerlegt werden können. Nur die Religion nimmt für sich in Anspruch, über ewige und unverhandelbare Wahrheiten zu verfügen, wenn sie in vermeintlich „heiligen Schriften“ dargelegt wurden, das halte ich für äußerst probematisch.
Wie auch immer, jedenfalls freue ich mich über jeden Diaolg über derartige Fragen und Themen, denn wenn es Wahrheiten über das menschliche Dasein, oder über die Tatsache der Welt gibt, erkennen wir sie nur über einen offenen Dialog, das ist meine Überzeugung.
Es grüßt sie freundlich aus Barmen,
Volker Brokop